Vertrauen und Digitalisierung

Rachel Botsman spricht von einem „Trust Shift“, in dem wir uns befinden. Sie definiert Vertrauen als das Verhältnis zum Unbekannten und stellt dar, wie „trust leaps“ immer wieder fundamental politische und wirtschaftliche Verhältnisse geformt und verändert haben. Nun sind wir an einem neuen Scheideweg, weg vom Vertrauen in die großen Institutionen wie Regierungen, Staats- oder große Wirtschaftsunternehmen hin zu einem netzwerkartigen und gleichzeitig entflochtenem Gebilde.

Nichts hat Menschen in großen Institutionen darauf vorbereitet, solche nun von ihnen geforderten „trust leaps“ im Unternehmen zu vollbringen.

Tatsächlich reißen die Nachrichten von großen Vertrauensbrüchen von Wirtschaftsriesen, aber auch Staatsmännern und -frauen nicht ab. Wir als Kunden, Staatsbürger und Mitarbeiter von großen Unternehmen setzen Unehrlichkeit, mangelnde Integrität und eine Politik der persönlichen Bereicherung quasi schon voraus und reagieren entweder mit Resignation – oder zunehmend mit großem emotionalen Unmut. Dieser Unmut konnte bisher von den großen Institutionen meist einigermaßen in Schach gehalten werden und schlug deswegen nicht maßgeblich auf Wirtschaftsleistung durch. Natürlich war Reputation schon immer ein hohes Gut, aber weichspülen, tot schweigen und Halbwahrheiten verbreiten hat meist geholfen. In Zeiten von digitaler Transparenz nicht mehr. 

Transparenz hat deutlich an Wert gewonnen. Viele Menschen vertrauen nun Plattformen die Transparenz zu menschlichem Verhalten erzeugen und so Menschen auch zur Verantwortung erziehen. Tugenden wie „zu seinem Wort stehen“ oder Redlichkeit und Verantwortung für das eigene Handeln Übernehmen stehen wieder hoch im Kurs bei Plattformen und werden durch den Abgleich von Selbstbeschreibung und Fremdbewertung überprüft. Der Skaleneffekt sorgt für Objektivität. Blockchain geht sogar ein bisschen weiter  und eliminiert das Element der Drittbewertung. Die Technologie macht eigenes Handeln für jedermann transparent. Reputation hängt somit nicht mehr so stark von einzelnen Meinungsmachern oder großen Gruppen ab, sondern entweder von der Gesamtheit der Micro-Communities oder ausschließlich von eigenem, uninterpretiertem Handeln (Blockchain). Heutzutage geht es um die Glaubwürdigkeit der Plattformen. Das zeigt beispielsweise die negative Kundenreaktion auf die zunächst avisierte Teilnahme des Uber CEOs an einem „round table“ mit Trump, worauf er zurückzog. Wie Botsman glauben wir, dass dieser Trend unumkehrbar ist. 

Dennoch sehen wir, dass heute noch alt neben neu existiert, verschiedene „trust leaps“ miteinander konkurrieren und oft eine schwierige Allianz eingehen müssen. Größere Unternehmen sind dafür ein Experimentierfeld, denn selbstverständlich geht diese Entwicklung, bei der privates und öffentliches Handeln sich schon längst vermischt haben, nicht an den Menschen, die dort arbeiten, vorbei. Jeder weiß inzwischen, dass peinliche facebook Fotos auch Relevanz für die Jobsuche haben.
In diesem unternehmensinternen Experimentierfeld findet zunehmend mehr auch Plattformlogik Eingang – vor allem technologisch, beispielsweise durch digitale Feedbacksysteme, Social Collaboration Tools, neue Performance Appraisal Systeme. Gleichzeitig hat nichts die Menschen in großen Institutionen auf der Verhaltensebene vorbereitet, solche nun von ihnen geforderten „trust leaps“ im Unternehmen zu vollbringen.  Und ihr Mißtrauen gegenüber der Vertrauenswürdigkeit solcher Systeme ist berechtigt, wenn ihre Einführung nicht einhergeht mit einer deutlichen Veränderung von Governance, Organisationsdesign und Entscheidungsfindung. Schließlich sind die „alten“ Parameter noch in den Institutionen wirksam. Wenn es aber wahr ist, dass der „Trust Shift“ unumkehrbar ist und Wirtschaftslogik revolutioniert, dann täten die großen Institutionen gut daran, nicht nur technologisch sich zu verändern. 

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